Silke (aus Bremen) | 2000/2001 | Argentinien / Posadas

Der Tag vor dem Abflug

Der Tag bevor ich geflogen bin, war der schlimmste. Am Vormittag habe ich geschlafen, dann hat mich ein Freund angerufen, den ich bei der VBT kennengelernt habe, weil er sich am Flughafen in Hamburg mit mir treffen wollte, um zusammen einzuchecken. Er war noch aufgeregter als ich und hat keinen sinnvollen Satz herausgebracht. Aber wir haben uns dann darauf verständigt, uns um 12.00 Uhr zu treffen, denn wir sollten gegen 12.15 Uhr einchecken. Am Mittag habe ich gepackt, es war schon ein ganz merkwürdiges Gefühl, dass da in diesem Koffer jetzt alles drin sein sollte, was ich für ein Jahr aus Deutschland in den Schüleraustausch mitnehme. Meine Mutter war den ganzen Tag zu Hause, sie wollte noch ein bisschen Zeit mit mir verbringen, trotzdem hab ich mich am Nachmittag noch mit ein paar guten Freunden in einem Café getroffen. Wir haben noch ein paar letzte Erinnerungsfotos gemacht, Abschiedsgeschenke ausgetauscht und geredet. Dann musste ich mich von den meisten verabschieden, aber, wie ich es schon von den vorherigen Abschieden kannte, habe ich es in dem Moment nicht begriffen, dass ich diese Freunde jetzt ein Jahr nicht sehen würde. Dann bin ich in die Straßenbahn eingestiegen und ich saß da und habe versucht, mir klarzumachen, dass es wirklich so ist. Etwa 5 Haltestellen vor Zuhause ging nichts mehr. Ich habe mich in meinem Sitz zurückgelehnt, in den Himmel gestarrt und mir sind Tränen in die Augen gestiegen. Ich konnte mich aber noch bis zuhause zurückhalten. Auf einmal konnte ich nur noch weinen und ich habe mir die ganze Zeit meine Abschiedsgeschenke angekuckt und auf einmal war mir klar, dass ich meine Freunde jetzt ein Jahr nicht sehe. Am Abend hab ich mit ein paar Freunden draußen gesessen und wir haben was getrunken und uns unterhalten. Es war eine entspannende Atmosphäre und ich habe nicht mehr darüber nachgedacht, dass ich am Morgen fliegen würde. In der Nacht musste ich mich nicht von guten Freunden verabschieden, denn meine 3 besten Freunde (Sarah, Julia, Tom) wollten am Morgen mit mir nach Hamburg fahren. Also bin ich um 2 Uhr oder 3 Uhr beruhigt nach Hause gefahren.

Der Tag des Abflugs

Am 1.8.2000 bin ich um 7.00 Uhr morgens mit dem Wissen aufgestanden, dass ich in 6 Stunden den ganzen beschissenen Abschied hinter mir habe und wahrscheinlich heulend in der Wartehalle oder im Flugzeug sitzen würde. Ich bin ins Bad gegangen, hab geduscht, mich fertiggemacht, die letzten Sachen eingepackt und ein bisschen was gegessen, obwohl ich ein ganz flaues Gefühl im Magen hatte. Dann saß ich noch 10 Minuten mit meinen Eltern im Wohnzimmer und wir haben uns noch ganz kurz unterhalten, wie es wohl am Flughafen sein würde. Dann kamen Sarah, Julia und Tom und ich habe mich von Sarahs Mutter verabschiedet, die ich auch sehr gern hatte, aber es rauschte total an mir vorbei. Wir haben alles ins Auto geladen und sind losgefahren. Die Fahrt war naja, eigentlich war es ganz in Ordnung, aber es war ganz schön unbequem zu viert hintenzusitzen... Ich war trotzdem sehr froh, dass sie alle drei mitgekommen waren. Als wir am Flughafen waren und im Parkhaus einen Platz gesucht haben, dachte ich, ich werde verrückt. Warum, weiß ich selbst nicht so genau, ich glaube, ich wusste nicht, was ich wollte. Einerseits wollte ich auf keinen Fall aussteigen und losfliegen und andererseits wollte ich den Abschied auch nicht herauszögern und endlich raus. Wir waren allerdings viel zu früh da, um 10 Uhr standen wir in der Eincheckhalle und wussten nicht, was wir mit den 2 Stunden anfangen sollten. Erst sind wir ziemlich planlos herumgelaufen, haben uns später allerdings in ein Café gesetzt und was getrunken. Langsam kamen auch die anderen, die mit mir zusammen nach Madrid geflogen sind und die Aufregung wurde größer und größer.

Dann kam endlich Kristof, der mit dem ich mich treffen wollte. Wir konnten allerdings noch nicht einchecken, deshalb sind wir noch ein bisschen länger planlos herumgelaufen und haben gewartet. Dann konnten wir endlich einchecken. War ein komisches Gefühl. Jetzt war mein Koffer da drin und ich musste noch eine Dreiviertelstunde warten. Irgendwann konnte ich nicht mehr. Ich musste an die frische Luft und habe angefangen zu heulen. Von da an waren es lange 45 Minuten, ich habe die ganze Zeit durchgeheult, immer wieder meine Freunde und Eltern umarmt und ihnen gesagt, wie sehr ich sie vermissen werde. Als ich dann mit Kristof vor dem Eingang/Ausgang (weiß nicht, wie's wirklich heißt und wie man es in diesem Fall bezeichnen kann) stand und mich von meinen Leuten verabschieden musste, ging gar nichts mehr. Ich hab so doll geheult, alle 10mal umarmt, usw. Aber es hat mir sehr geholfen, dass sie auch alle geweint haben. Es ist ja kein Zeichen von Schwäche, nur ein Zeichen dafür, dass man sich gern hat und sich vermissen wird. Irgendwann hat Kristof mich von allen weggezogen und gesagt, jetzt wäre dann auch mal Schluss, er wollte jetzt reingehen. Als wir durch dir Schranke gingen, wollte ich immer zurückschauen, und Kristof hat voll rumgemeckert, weil er meinte, dass würde mich noch trauriger machen. Aber es hat mich einen Scheiß interessiert... Als ich sie nicht mehr sehen konnte, bin ich mit Kristof Arm in Arm zur Wartehalle gelaufen (ich glaube, allein wäre ich indem Augeblick nicht mehr fähig gewesen) und dann mussten wir noch mal warten. Kristof und ich haben eine nach der anderen geraucht, weil wir so aufgeregt waren.. Mit Verspätung sind wir durch so einen Zuführungsschlauch in Flugzeug gegangen und ich habe ein letztes Mal meine Eltern und Freunde gesehen. Ich glaube, Kristof hätte mich am liebsten umgebracht, weil ich schon wieder stehengeblieben bin und gewunken habe... Aber dann sind wir eingestiegen.

Dann saß ich im Flugzeug, links von mir Kristof und rechts zufälligerweise ein Mädchen, dass auch mit auf meiner Vorbereitung zum Austauschjahr war. Ich hatte ein bisschen Angst vor dem Start, aber es ging ganz schnell, da war ich schon in der Luft und endgültig weg. Wir sind mit einem halbstündigen Zwischenstop nach Madrid geflogen, wobei wir beinahe ein Mädchen unserer Gruppe verloren hätten, weil irgendwer ihr den falschen Ausgang gezeigt hatte. In Madrid sind wir erstmal ewig über den Flughafen geirrt, bis wir unseren Flugbetreuer und zwei der anderen Deutschen gefunden hatten. Den ganzen Tag haben wir damit verbracht, uns über die Zeit nach der Vorbereitung, den Abschied, unsere Vorstellung, wie es jetzt werden wird und viele andere Sachen zu unterhalten, Adressen auszutauschen, Abschiedsgeschenke, die wir bekommen hatten, zu zeigen und Karten zu spielen.

Um 23.30 Uhr sollte eigentlich unsere Maschine nach Buenos Aires starten, aber zwei Mädchen waren noch gar nicht aus Deutschland angekommen. Gottseidank hatte der Flug eine Stunde Verspätung, so dass wir geschlossen einsteigen konnten. Ich hatte kurz vorher totale Bauchschmerzen gekriegt, wegen des Fliegens konnte es ja nun nicht mehr sein, ich hatte ja schon zwei Starts und zwei Landungen überstanden. Ich glaube, es war das Wissen, dass ich nach der nächsten Landung in Argentinien sein würde, da wo ich so lange rauf hin gearbeitet hatte und so lange für gewartet hatte, mir jetzt aber nicht mehr allzu sicher war, nachdem ich meine Familie und Freunde in Deutschland zurückgelassen hatte.

Um ca. 0.30 Uhr starteten wir also endgültig nach Argentinien. Es war ein langer Flug, aber ich hab eigentlich die ganze Zeit mit dem Kopf auf Kristofs Schulter geschlafen, der mich nur zum Essen geweckt hat. Frühmorgens argentinischer Zeit sind wir in Bs.As. gelandet, ich hatte echt Tränen in den Augen, es war echt soooo schön, endlich da zu sein, wo ich so lange hinwollte. Dann mussten wir ne Weile auf die Koffer warten und noch etwas länger, weil anscheinend ein Koffer verschwunden war. Eine halbe Stunde später stellte sich aber heraus, dass der schon mit einem früheren Flugzeug angekommen war. Wir sind also raus und wurden auch gleich von zwei "YfU-Frauen" empfangen, die uns dann zu zwei Kleinbussen brachten, wo noch mehr "YfU-Frauen und Männer" standen, außerdem ein belgisches Mädchen. Wir mussten uns von unserem Flugbegleiter Florian verabschieden und uns mit ca. 25 oder 30 Leuten, 20 Koffern und nochmal über 20 Rucksäcken in 2 Kleinbusse quetschen, sehr gemütlich.

Nach einer etwa einstündigen Fahrt, auf der man irgendwie gar nicht begriffen hat, was man hier macht und wo's jetzt hingeht, sind wir in einer Schule angekommen, die von außen allerdings eher aussah wie ein Gefängnis. Durch ein eisernes Tor sind wir auf das Gelände gefahren... Spannung... :o)

2. August - 6. August 2000: Buenos Aires

Wir haben gefrühstückt, geduscht, geredet und uns in Zweierzimmern eingerichtet, weil wir hier nun noch 3 Tage bleiben sollten. Uns wurde gesagt, dass am nächsten Tag noch Amerikaner und Finnen, am übernächsten Schweizer und am Samstag, an dem wir in die Familien kommen sollten, noch Dänen dazukommen sollten. Wir waren schon sehr gespannt, vor allem auf die Amis, weil in unserer Gruppe, glaub ich, bewusst alle Argentinien gewählt haben und ein bisschen Vorurteile gegen Amerika und die Amis hatten. Aber wir haben uns sehr drauf gefreut, mal welche kennenzulernen. Am Nachmittag des 2.8. haben wir von den Betreuern argentinische Kartenspiele gelernt und über Argentinien geredet. Außerdem haben wir einen kleinen Spaziergang gemacht, um Geld zu tauschen, kleine Einkäufe zu machen und zu telefonieren. Sonst ist nicht viel passiert, da wir alle durch den langen Flug und die Zeitverschiebung ziemlich müde waren. Am nächsten Tag kamen also die Amis und die Schweizer. Sie haben unsere Vorurteile natürlich nicht bestätigt, naja, vielleicht ein oder zwei, aber darum geht's ja hier nicht. Wir hatten ein bisschen Vorbereitung, genau darüber, also über Vorurteile und wir man sie verhindern kann. Aber insgesamt war das ganze nicht so aufregend, auch als die anderen aus der Schweiz kamen am nächsten Tag, es war eigentlich mehr ein gemütliches Beisammensein und Spaßhaben als eine Vorbereitung. Wir hatten auch noch einen sehr wirkungsvollen (?) 2-stündigen Spanischkurs, aber sonst ist echt nicht viel passiert.

Der Flug in meine neue Heimat und der erste Abend "zuhause"

Am Samstag war es endlich soweit: 9 Uhr morgens Abfahrt vom Camp zum Flughafen, endlich in die Familien. Wir (d.h. eine andere Deutsche, eine Dänin, die allerdings erst um 15 Uhr oder so am Flughafen ankommen sollte, und ich) hatten allerdings besonders großes Pech: Unser Flug ging erst um 17.25 Uhr, so dass wir den ganzen Tag am Flughafen in Buenos Aires verbringen durften. Wir haben uns mit unseren Betreuern unterhalten und einfach nur rumgesessen. Dann kamen die 3 Dänen an, von denen 2 ganz in den Süden Argentiniens kommen würden und eine mit uns in den Nordosten, nach Posadas. Erst flogen die beiden anderen ab und dann waren endlich wir dran... Wir hatten allerdings auf dem Flug noch ein kleines Problem, denn um 19 Uhr hatten wir eine kurze Zwischenlandung in einer anderen Provinz und natürlich haben wir die Durchsage nicht verstanden und es hatte uns auch niemand gesagt. Also sind wir, dumm wie wir sind, denn wir sollten ja erst um 20 Uhr ankommen, ausgestiegen... Auf dem Flughafen in Resistencia hat natürlich auch kein Arsch Englisch gesprochen, so dass wir, als wir unseren Fehler bemerkt hatten, nur noch vollkommen verängstigt zu irgendwelchen Flughafenleuten gelaufen sind, unsere Tickets gezeigt haben und "Posadas, Posadas!" gesagt haben. Gottseidank haben die kapiert, was wir wollten und wir konnten wieder einsteigen. Um 20 Uhr sind wir das zweite Mal ausgestiegen, diesmal auch wirklich in Posadas. Posadas hat 400 000 Einwohner und ist die Hautstadt der Provinz Misiones, im Nordosten von Argentinien, direkt an der Grenze zu Paraguay und ca. 250 oder 300 km von der brasilianischen Grenze entfernt. Posadas hat einen ziemlich kleinen Flughafen, so dass man vom Flugzeug aus zum Gebäude laufen muss/kann. Als wir näher kamen, sahen wir ein weißes Plakat, auf dem wir den Namen "Janet", der Name der anderen Deutschen, erkennen konnten. Janet fing an, ganz wild mit den Armen zu fuchteln und Anine (die Dänin) und ich auch, weil unsere Familien da ja auch irgendwo sein mussten. Dann erkannten wir auch noch unsere Namen auf dem Plakat und waren total froh, dass es für uns alle war.. Als wir auf unser Gepäck warteten, kamen unsere Familien schon in die Halle und ehe ich irgendwas denken konnte, standen 4 Mädchen vor mir, von denen eine dann sagte: "Silke? I'm Adriana, your new sister!" Ich gab ihr, wie's in Posadas üblich ist, 1 Küsschen links, in Küsschen rechts und sie stellte mir die anderen vor: 2 ihrer Freundinnen und meine kleinere Gastschwester. Dann kamen meine Gasteltern auch noch und Adrianas Freund. Die ersten Fragen, die sie mir stellten, waren: "Wie geht's dir?", "Geht man in Deutschland in die Disko?", "Willst du heut nacht mit in die Disko?", "Hast du einen Freund?" Es war echt sehr lieb, wie sie mich begrüßt haben, aber ich war vollkommen durcheinander und hab's grad noch irgendwie noch geschafft, meinen Koffer vom Band zu heben und mit ihnen rauszugehen. Dann bin ich mit Adriana, ihren 2 Freundinnen und ihrem Freund im Auto "nach Hause" gefahren, meine Gasteltern und meine kleinere Gastschwester im anderen Auto. Als wir da waren, war ich erstmal vollkommen überwältigt von diesem Riesenhaus, mit Swimming-Pool, Fahrstuhl, usw. Und dass alles für 5 , ups, jetzt natürlich 6 Personen. Dann habe ich meinen kleinen Gastbruder kennengelernt, geduscht und gegessen. Um 23 Uhr bin ich mit Adriana in ihrem Auto zu einer der beiden Freundinnen gefahren, wo eine kleine Party stattfand. Es war nur sehr klein, aber es waren ca. 15 Mädels da, die sich mir alle vorstellten und mit mir reden wollten, ich hab allerdings gar nichts verstanden und stand wie festgenagelt auf einem Fleck. Dann sind wir zu einer Bar gefahren, davon gibt es in Posadas total viele. Es ist ein kleiner Laden, in dem man auch sitzen kann, es gibt Hamburger, Pommes, Pizzas und Getränke und außerdem sind am Straßenrand vor der Bar Tische und Stühle aufgestellt, das ganze hat ein bisschen Biergartenatmosphäre. Da hab ich dann auch meine neuen Klassenkameraden kennengelernt, aber ich kann mich an gar nichts mehr erinnern, es ist einfach alles total an mir vorbeigerauscht. Zwischendurch haben wir ein paar Runden mit dem Auto gedreht, was hier eine sehr beliebte Sache ist. Dazu muss man sagen, dass die Strassen hier in Quadraten aufgeteilt sind und wenn du eine Entfernung angibst, sagt man z.B. "2 Blöcke" Wir sind also durch die Gegend gefahren und ich muss echt sagen, obwohl wir immer wieder dieselbe Runde gefahren sind, hatte ich überhaupt keine Orientierung und kann mich an gar nichts erinnern, was ich da gesehen habe. Um 3 Uhr wollten sie mich noch mit in die Disko schleppen, aber da hab ich dann gesagt, dass ich jetzt doch lieber schlafen würde, denn die Zeitumstellung hat mir doch ganz schön zu schaffen gemacht, in Deutschland war es immerhin schon 8 Uhr morgens. Adriana hat mich nach Hause gebracht, es sind aber auch nur 1 ½ Blöcke von der Bar. Ich bin in mein Zimmer gegangen, hab mich ins Bett gelegt und total angefangen zu heulen, obwohl ich selbst nicht wusste, warum, es war doch alles perfekt gelaufen... Eine Minute später habe ich allerdings tief und fest geschlafen.

Meine neue Heimat im Schüleraustausch

Ups, das war ja alles schon ziemlich lang, aber ich denke mal, das sind Sachen, die euch auch ein bisschen Angst machen, oder euch interessieren, wenn ihr ein Austauschjahr nach Argentinien wollt. Und ab dem Morgen wurde auch alles etwas entspannter. Ich habe zwar erst mal einen Anflug von Heimweh bekommen, aber das hat sich schnell gelegt, als ich mit Adriana an die Costanera gefahren bin. Die Costanera ist eine Straße, eine Art Flusspromenade am Río Paraná, der Fluss der Argentinien von Paraguay teilt. Man konnte von dort aus auch nach Paraguay rüberkucken und über eine Brücke rüberfahren. Man trifft sich an der Costanera, um Mate (argentinischer Tee) oder Tereré (kalten Mate mit Saft) zu trinken und Leute zu treffen. Dort hab ich alle noch einmal wiedergetroffen, die ich am Abend vorher kennengelernt habe und noch ein paar mehr. Es war dort total schön und vor allem warm, ca. 25°C, obwohl es grad "Winter" in Argentinien war.. Am Tag danach war mein erster Schultag, alle haben mich total lieb aufgenommen, manchmal hatte ich das Gefühl, die wären am liebsten auf mich draufgesprungen, weil sie sich so gefreut haben. Sie haben mich ausgefragt nach Deutschland, was ich so mache, usw. Am wichtigsten waren allerdings immer noch die Fragen nach Alkohol, Rauchen, Party, Freund und Musik. Ich war auf einer Privatschule, weil meine Gastgeschwister dort auch hingingen, und deshalb musste ich auch nichts bezahlen. Meine Familie hatte das so mit der Direktorin abgemacht. Achja, was auch viele interessiert, ist ob man dort eine Schuluniform tragen muss: in eigentlich allen Schulen ist es Pflicht. Ich hatte zu dem Zeitpunkt einen rot-grau-weiß-karierten kurzen (sehr kurzen) Faltenrock, rote Kniestrümpfe, eine weiße Bluse, bzw. Polohemd mit Schulabzeichen und lederne Halbschuhe. In meiner Schule durfte man aber sonst auch in Jogginghose und Polohemd in Schulfarben kommen, auf der Privatschule war es etwas lockerer, wenn man pünktlich sein Schulgeld bezahlte.. :o) In den nächsten zwei Monaten Schüleraustausch hab ich mich total wohlgefühlt, viele neue Freunde gefunden und viel Spaß gehabt. Jeden Freitag und Samstag war ich mit Adriana und meinen neuen Freunden in der Disko und Sonntagsnachmittags an der Costanera. Von den Diskos kann ich nur erzählen, es ist das BESTE, das es auf dieser Welt gibt. Die argentinische Musik ist ganz anders als hier, man tanzt viel mehr und man tanzt vor allem immer in Paaren. Das war am Anfang etwas ungewohnt, wenn einen ständig irgendwelche fremden Jungs oder Männer auffordern und man dann mit denen tanzen muss. Aber wenn man es erst mal einigermaßen kann, macht es total Spaß. Woran man sich auch gewöhnen muss, ist das ständige Küsschengeben zur Begrüßung (in Posadas immer 2, in anderen Teilen Argentiniens meistens 1). Ich weiß, in Deutschland machen das auch viele, aber in Argentinien ist es etwas krasser. Man muss JEDEN so begrüßen. Ich habe in den ersten 3 Monaten bestimmt 200 Leute geküsst, die ich noch überhaupt nicht kannte. Und sobald dich jemand nur mal irgendwo gesehen hat, kommt er nächstes Mal an und begrüßt dich und erzählt dir erstmal einen.. :o)

Der traurige Teil "meines" Jahres

Nach zwei Monaten Schüleraustausch fing ich an zu merken, dass Adriana ein bisschen eifersüchtig auf mich war, weil ich mich auch gut mir ihren Freunden verstanden habe, und Daniela (meine kleinere Schwester) war es schon die ganze Zeit, von ihr hatte ich immer das Gefühl, sie würde mich hassen. Mein kleiner Bruder (13) hat sowieso nie mit mir geredet, obwohl er es gewesen war, der mich "ausgesucht" hatte, weil er meinte, ich sähe auf dem Foto in meinen Unterlagen so nett und schön aus. :o) Wie dem auch sei, ich habe mich nicht mehr gut, mit meiner Familie verstanden, aber ich habe mich auch nicht getraut zu wechseln, weil ich nicht noch einmal ganz von vorne anfangen wollte. Ich dachte, ich hätte schon gute Freunde gefunden und das es dumm wäre, jetzt noch mal anzufangen. Bis zum Dezember bin ich in meiner ersten Familie geblieben, war auf meinem Abschlussball von der Schule und eigentlich war es nur noch ein einziges Feiern, weil meine Klasse im Dezember mit der Schule fertig war. Aber ich kann euch sagen, dass ich einfach total unglücklich war in dieser Zeit, ich wollte immer nur jemanden finden, dem ich das alles erzählen könnte und der mich in den Arm nimmt. Ich hatte zwar Freunde, aber das waren ja auch alles Freunde meiner Gastschwester, denen wollte ich nicht von Problemen mit ihr erzählen. Im Dezember hatte ich dann endlich die Chance, mich bei jemandem auszuheulen, ich habe meine allerbeste Freundin aus Deutschland besucht, die ein Jahr in Paraguay war. Es waren echt schöne Tage mit ihr, aber umso trauriger, als es vorbei war und ich zurück musste zu meiner Gastfamilie.. Ende Dezember kam dann der große Schlag: Meine Gastmutter erzählte mir, dass die ganze Familie in 2 Wochen nach Miami ziehen würde und ich mir nun eine neue Familie suchen müsste. Ich hab meine Betreuerin angerufen und sie meinte nur, ups, das hätte sie ja total vergessen, ja, dann müsste sie wohl jetzt ganz schnell eine neue Gastfamilie für mich suchen. Ich sollte zuhause bleiben, damit sie mich erreichen könnte. Und das im schönsten Sommer, jeden Tag waren es 35°-40°C und ich hatte 3 Monate Sommerferien. Sie rief nicht an in den nächsten drei Tagen und weil ich mir allmählichen Sorgen machte, versuchte ich es nochmal bei ihr. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie die alte Hexe mich angemacht hat, sie hätte eh keinen Bock mehr auf mich, und ich könnte ja nicht verlangen, dass sie mir eine neue Familie sucht ("mach doch selber"). Am liebsten wäre ihr, wenn ich in eine andere Stadt gehen würde, ich würde ihr ja sowieso nur Probleme machen und sie hätte jetzt dem Büro in Buenos Aires Bescheid gesagt, die würden sich kümmern. Als die mich anriefen und ich ihnen meine Probleme mit meiner Betreuerin geschildert hatte, meinten sie auch nur, dass die Frau ja wohl spinnen würde und das alles nicht so schlimm wäre, sie hätten schon eine neue Gastfamilie für mich in Posadas gefunden.

Meine neue Gastfamilie, ein "richtiges Zuhause"

Am 22.12. bin ich dann zu meiner neuen Familie umgezogen, dort hatte ich natürlich zwei liebe Gasteltern (Mima und Carlos, beide Lehrer an der Uni), eine Gastschwester (Natasha, 15) und drei Gastbrüder (Carlitos, 13; Daniel, 18; und Sergio, 19). Achja, und einen süßen Hund: Patsy. Ich kam eigentlich mit allen sehr gut klar, besonders mit Daniel und Natasha. Mit Natasha hab ich zusammen in einem Zimmer geschlafen und es war wesentlich weniger komfortabel als in der ersten Familie. Aber auch viel gemütlicher und netter. Ich hatte immer noch zwei Monate Sommerferien (von insgesamt drei Monaten) und da alle meine anderen Freunde von vorher inzwischen entweder im Urlaub in Brasilien waren oder schon in anderen Städten in Argentinien, wo sie jetzt studieren wollten, hab ich eigentlich die ganzen Ferien etwas mit Daniel und seinen Freunden unternommen, manchmal war ich auch mit Natasha unterwegs. Außerdem hatte meine Familie ein kleines Wochenendhaus, 50 km von Posadas entfernt. Es war direkt am Río Paraná, dort haben wir uns den ganzen Tag faul in die Sonne gelegt, waren baden (mit den Piranhas..) und ich war mit Daniel paddeln. Abends haben wir uns dort immer mit anderen Jugendlichen getroffen, die auch in ihren Wochenendhäusern waren. Meistens hab ich aber wirklich nur faul in der Hängematte gelegen und mir die Affen in den Bäumen angekuckt, das war echt schön, ich kam mir vor wie im Urwald.. :o) Das war sozusagen mein Sommerurlaub..

Reisen während meines ATJ

Das wollte ich auch noch ganz kurz erzählen, denn während ich meinen Sommerurlaub in unserem Wochenendhaus verbracht habe, haben viele andere Urlaub in Brasilien gemacht. Eigentlich schade, dass das bei mir nicht geklappt hat, aber dafür hab ich andere Orte kennengelernt. Wie ich ja schon erzählt habe, war ich eine Woche in Asunción/Paraguay und habe dort meine beste Freundin besucht. Auch sonst war ich ein paar Mal in Paraguay, allerdings nur in Encarnación, das ist die Stadt, die direkt gegenüber von Posadas auf der anderen Seite des Río Paraná liegt. Dort haben wir manchmal eingekauft, weil die Sachen in Paraguay viel billiger sind als in Argentinien. Außerdem war ich zweimal bei den Wasserfällen von Iguazú, die sind wirklich wunderschön und liegen zwischen Brasilien und Argentinien. Man kann sie von beiden Seiten besuchen und sie bilden sozusagen die Grenze. Einmal war ich dort mit der Schule auf der argentinischen Seite und einmal bei der Reise von YfU, da haben wir beide Seiten gesehen. Außerdem waren wir bei dem Staudamm von Itaipú in Brasilien, ist ein Riesending, echt sehr beeindruckend.. An einem Abend haben wir uns noch das Länderdreieck von Argentinien, Brasilien und Paraguay angekuckt, die drei Länder sind an dieser Stelle auch durch zwei zusammenfließenden Flüsse getrennt. Einmal hab ich eine Freundin in Corrientes besucht, das ist auch eine Provinzhauptstadt Argentiniens, ganz in der Nähe von Posadas (ca. 300km entfernt), die dort ihre Gastfamilie hatte. Ist übrigens auch ne echt schöne Stadt, aber Posadas ist natürlich viiiiiiiiiiel schöner. :o) Naja, und ganz am Ende meines Jahres war ich noch in Bariloche/Patagonien, aber davon erzähl ich gleich noch ein bisschen mehr. Jetzt wieder zurück zu meinem Alltag in Argentinien

Die letzten Monate im Schüleraustausch

Ende Februar fing dann die Schule wieder an. Ich war jetzt auf einer halbprivaten Schule, dort werden zwar die Räume, Strom usw. von den Schulgeldern bezahlt, die Lehrer aber werden vom Staat bezahlt. Dort hatte ich als Schuluniform einen sehr "schicken" weißen Kittel, blaue Kniestrümpfe und immer noch lederne Halbschuhe. Auch an dieser Schule wurde ich sehr lieb aufgenommen, wobei ich auf den ersten Blick gesehen habe, das die Leute an dieser Schule nicht so eingebildet und neureich waren wie an der privaten. Ich habe sofort Freunde gefunden und mich total gut mit allen verstanden. Die letzten Monate waren wirklich wunderschön, ich hatte soooooo viel Spaß mit meinen neuen Freunden und diesmal waren aus auch "wirkliche" Freunde, denen ich vertrauen konnte und denen ich alles erzählen konnte.

Der Höhepunkt "meines" Jahres war die Abschlussfahrt, die ich mit meiner Klasse gemacht habe, nach San Carlos de Bariloche in Patagonien (ein berühmter Skiort in den Anden). Das war die unkomplizierteste, problemfreiste Woche, die ich in meinem Leben hatte. :o) Für diese Fahrt hatte ich meinen Flug nach Deutschland 3 Wochen verschoben. Aber am 28.8. musste ich dann doch nach Hause. Am Abend vorher haben wir noch eine Abschiedsparty gemacht an der Costanera, und alle haben mir noch kleine Geschenke gemacht und meinen Guardapolvo (den Kittel aus der Schule) vollgekritzelt. Aber dann war es soweit, ich war am Flughafen, mit mir meine Gastfamilie und ungefähr 15 Freunde. Meine beste Freundin sogar mit der ganzen Familie, weil ich mich immer so gut mit denen verstanden hatte und dort auch mal eine Woche gewohnt habe. Ich glaube, ich habe noch mehr geheult als bei meinem Abflug in Deutschland. Aber gottseidank hatte ich viele wunderbare Erinnerungen an meinen Schüleraustausch, "mein" Jahr, meine Freunde und eben Argentinien - denn Argentinien ist wirklich das Beste, was mir jemals passiert ist und die argentinische Lebensfreude ist einfach nicht zu übertreffen. Man muss es erlebt haben, um es zu verstehen, deshalb glaube ich, dass ihr auch ein wunderschönes, wenn auch nicht unproblematisches Jahr in Argentinien haben werdet!

AGUANTE ARGENTINA CARAJO!!!

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