Martina (aus Erlangen) | 2001/2002 | Südafrika / Johannesburg / Muldersdrift

319 Days in Paradise:

„Martina, wie kannst du nur für ein Jahr nach Südafrika gehen? Das ist dort voll gefährlich, die Leute haben fast alle AIDS, die Löwen und Elephanten trampeln alle Menschen nieder und die Kriminalitätsrate dort unten ist viel zu hoch! Wie kannst du alles, wie Familie, Freunde, Umgebung für ein ganzes Jahr verlassen?“ Dies waren Fragen, die ich mir immer und immer wieder anhören musste! Aber ich habe es an keinem der bisherigen Tage hier in Joburg bereut! Auf die Idee, mich für ein Jahr im Ausland zu bewerben, kam ich durch meinen grossen Bruder, der 98/99 ein Super-Jahr in Phoenix, Arizona (USA) ebenfalls mit dem AFS (American Field Service) verbracht hatte! Nach einem Auswahlwochenende und zwei weiteren AFS-Vorbereitungswochenenden war es dann am 22.8.01 endlich soweit: Flug SA 0261 hob um 20.45 Uhr mit insgesamt 9 deutschen AFSern an Bord in Frankfurt ab! Während unseres zehnstündigen Fluges wussten wir nicht, was uns am anderen Ende der Welt erwarten würde, und so konnte vor Aufregung keiner schlafen.

Wie ich in Joburg gelandet bin

In Joburg gelandet wurden wir dann sehr lieb von drei AFS-Mitarbeitern empfangen. Auf dem Weg in die Jugendherberge, im offenen Jeep, waren wir alle sehr, sehr müde und keinem sind die zahllosen schwarzen Leute am Strassenrand aufgefallen, von denen leider viele arbeitslos sind und die hier den ganzen Tag versuchen, meist geklautes Gut zu verkaufen. In der Jugendherberge angekommen haben wir alle erst mal fehlenden Schlaf nachgeholt, anschliessend ging es zum ersten „Sightseeing“. Am nächsten Tag kamen noch 40 weitere Austauschschüler aus Österreich, Schweiz, Nordeuropa, Island, Hongkong, USA und Kanada an, ein recht netter Haufen von aufgeregten Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 18 Jahren. Die nächsten zwei Tage verbrachten wir alle zusammen in der Jugendherberge mit Kennenlernspielen, Diskussionen, Vorträgen, Grillen und vor allem nochmals mit viel Schlaf!.

Meine Gastfamilie!

Und dann war er da, der Tag, an dem wir unsere Gastfamilien zum ersten Mal treffen sollten! Ca. 20 AFSer flogen weiter nach Capetown, Durban, Port Elizabeth oder Pietermaritzburg und der Rest wurde direkt von den Gastfamilien abgeholt. Meine erste Gastfamilie bestand aus Vater Roger und Mutter Bettina, Nikki ( 16 Jahre) und Andre (14), ausserdem noch Nelley, unserer maid, fünf Hunden und einer riesigen Schildkroete mit vier Babies. Sie hatten einen grossen Plot mit Pool, Tennisplatz, Motorradbahn, Trampolin, kleinem See mit Boot, etc. Das Haus lag in Muldersdrift, im Norden von Joburg. Um das ganze Haus war ein hoher Stacheldrahtzaun gezogen, denn nur 400m entfernt hatte sich ein illegales Squattercamp gebildet; dort leben Farbige in winzigen Blechhütten, ohne Strom und Kanalisation. Ein recht erschreckendes Bild, der Staat macht hier nichts gegen die Arbeitslosigkeit! Ein Schwarzer verdient am Tag ca. 10 Rand, das entspricht etwa einem Euro!

Schule

Und gleich am nächsten Tag ging´s in die Schule: Aurora Private School. Ausser mir waren auch noch ein Kanadier und ein Costa Ricaner als Gastschüler zur gleichen Zeit dort. Mein erster Tag dort war aufregend, mir wurden 1000Fragen gestellt und 1001 Namen an den Kopf geworfen, von denen ich am nächsten Tag bestenfalls noch 20 wusste! Meine Fächer in den letzten beiden Terms der zehnten Klasse waren Mathe, Bio, Erdkunde, Englisch, Deutsch, Physik und „Life“. Die Schule hier ist im Vergleich zu deutschen Gymnasien sehr einfach. Der Unterricht fängt um 8.00 Uhr an und hört um 14.10 Uhr auf, eine Unterrichtsstunde dauert nur 35 Minuten, sodass man alle Fächer an jedem Tag hat. Schnell hatte ich Anschluss und Freunde gefunden. Unsere private school ist eigentlich recht klein und umfasst vom Kindergarten bis zum Matric (12.Klasse) nur 1000 Schüler. Und davon sind nur 250 in Senior High, das ist die 10. bis 12. Klasse. Zweimal pro Woche versammelt sich die ganze Schule im Amphitheater für eine Assembly, dort werden wichtige Dinge angekündigt, Sportler geehrt und Reden gehalten. Aber das beste an der Schule ist eindeutig die Schuluniform: Wir müssen schwarze Hosen oder Röcke, ein weisses T-Shirt und einen schwarzen Pulli tragen. Die Uniform an öffentlichen Schulen besteht aus Faltenröcken, Blazern, Krawatten, Hemden, etc.

Familienwechsel

In den afrikanischen Frühlingsferien bin ich mit meiner Familie in die Nähe von Pietermaritzburg gefahren, um dort das neue Haus meiner Gastfamilie anzuschauen. Sie hatten sich wegen der immer grösser werdenden Kriminalität in Joburg dazu entschlossen, nach Natal zu ziehen und hätten mich auch mitgenommen. Aber da es mir so gut in Joburg gefiel und ich nicht schon wieder Freunde und Schule verlassen wollte, habe ich mich dazu entschlossen, Anfang Dezember die Gastfamilie zu wechseln und habe auch schnell eine neue Familie gefunden. Meine neue Familie bestand wiederum aus Mom und Dad, Sylvia und Pat, und ihrem 15-jährigen Sohn Anthony. Sie haben mich dann auch kurzerhand zum Kennenlernen gleich über ein Wochenende mit nach Capetown genommen, wo wir die wichtigsten Stationen abgeklappert haben: Tafelberg, das Kap und Ratanga Junction, „the wildest place in South Africa“, ein Erlebnispark, ähnlich wie Geiselwind, aber viel, viel grösser. Ein Wochenende später bin ich dann mit sieben anderen Austauschschülern in die Drakensberge zum Reiten und Wandern gefahren! Es war wunderschön! Ein saftiges Grün überall! Aber das schönste Erlebnis war, als wir an derKlippe des Mont-Aux-Sources lagen und den Tugela Wasserfall 1000m mit unseren Augen nach unten verfolgen konnten.

Ferien: Sommer im Winter!

Und dann waren sie da, die grossen Sommerferien, fast zwei Monate Sommer im Winter! Das erste Mal, dass ich in den Ferien Geburtstag hatte und das erste Mal, dass ich Weihnachten und Sylvester im Bikini am Strand verbringen konnte. Zu meinem Geburtstag kam Janina, eine deutsche AFSerin, für eine Woche zu mir zu Besuch. Und eine Woche später ging es in den grossen Sommerurlaub mit meiner Gastfamilie nach Rocky Bay, eine halbe Stunde südlich von Durban, d.h. Camping direkt am Strand! Allerdings kann man dort nicht wirklich schwimmen und schnorcheln, wie ich es vom schönen, viel stilleren Mittlermeer gewohnt war, denn die Wellen waren zu hoch. Drei Wochen mit einer Durchschnittstemperatur von 32°C und an Land kein Wind! Weihnachten und Sylvester waren etwas komisch, weg von daheim, ohne dicke Pullis, und als ich dann in Deutschland anrief und erfuhr, dass es in Erlangen dick schneit...! In Durban sind wir ziemlich oft zum Fischen gegangen, haben nach Delphinen Ausschau gehalten, waren in der grössten Mall Südafrikas „shoppen“, besuchten eine Krokodilfarm, machten einen 4*4 (off-road) Trip nach Port Edwards und noch vieles mehr.

Faszinierendes Land

Über die Osterferien bin ich mit 7 anderen Austauschschülern (Deutschland, Brasil, USA, Belgien) an die Gardenroute und nach Capetown für 16 Tage gefahren!!! Eine super Zeit, auch wenn wir feststellen mussten, wie dumm sich eigentlich die ganzen deutsche Touristen anstellen, wir hatten uns nämlich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als „Touristen“ bezeichnet!! Die Gardenroute ist wohl einer der schönsten Plätze in ganz Südafrika und capetwon ja sowieso!! Die Highlights der Tour waren: Ostrich reiten, Geburtstagsfeier auf dem Tablemountain, Tauchen, Wandern, etc. Auch im Mai ging’s dann wieder auf TOUR, diesmal mit allen AFS–Schülern. Wir fuhren für eine Woche nach Botswana, Zambia und Zimbabwe. Die Tour war einer der Höhepunkte des ganzen Jahres: Elenfanten, Sonnenuntergänge, wie man sie nur aus dem Traum kennt, Victoria Fälle, Wüste, Flohmärkte usw.

Abschied

Meinen letzten Monat habe ich eigentlich fast nur mit meiner Familie verbracht. Aber auch meine Freunde sind nicht zu kurz gekommen!! Meine Abschiedsparty durfte ich allerdings nicht selber organisieren, sondern ein Freund von mir hat es in die Hand genommen!! Der Abschied in SA fiel mehr sehr sehr sehr schwer!!! Aber wie heisst es so schön: Aller Abschied ist schwer, aber das Gefühl zu haben, dass man ein paar Leute in seinem Leben vielleicht nie wieder sieht, ist schon sehr erschreckend, sicher ich werde zu den meisten Leuten Kontakt halten, aber zu allen nicht!!

Back Home

Jetzt wieder in Deutschland angekommen, denke ich ganz anders darüber, ich habe meine Familie, meine Freunde wieder, und ich weiß durch viele Emails, dass mich meine Freunde in SA auch noch nicht vergessen haben, besonders aber auch meine Gastfamilie nicht!!! Natürlich ist es komisch, wieder in Deutschland zu sein, aber auch irgendwie total schön!!! Oft denke ich an SA zurück und in der letzten Woche hat mich ein Freund aus Canada besucht, mit dem ich zusammen an der Schule war in SA!!! Nun bin ich fast einen Monat wieder hier in Deutschland und habe endlich begriffen, dass mein Jahr zu Ende ist!!! SA ist wirklich das schönste Land, das ich je gesehen habe; es ist faszinierend, wie unterschiedlich die verschiedenen Landschaften sind. In SA gibt es völlig verschiedene Kulturen, von den vielen Schwarzafrikanern über Deutsche bis hin zu Asiaten! Besonders beeindruckt haben mich die vielfältigen Bräuche der schwarzen Völker. Und natürlich habe ich auch schon die grossen „wilden“ Tiere, wie Elefanten, Löwen, Flusspferde, Hyaenen etc. gesehen. Falls ihr einmal die Chance haben solltet, für ein Jahr ins Ausland zu gehen, kann ich nur sagen: Nutzt sie!! Ich muss zugeben, es ist nicht immer einfach, aber Problemchen gibt´s im Alltag überall! Und das noch laufende Jahr hat mir bis jetzt schon so unglaublich viel an neuen Eindrücken, Begegnungen und Erfahrungen gebracht! Man ist anfangs plötzlich fast ganz allein in einem fremden Land, kennt niemanden, die Sprache ist anders, das Essen, die ganze Umgebung; hier kann man nicht einfach mal so mit dem Fahrrad zum Einkaufen fahren -zu gefährlich! Das alles lässt einen so viel schneller „gross“ werden! Ich für meinen Teil möchte die gemachten Erfahrungen auf gar keinen Fall mehr missen! Also : JUST DO IT! Es gibt viele Organisationen, die Austauschprogramme anbieten, der AFS ist jedenfalls super! Es findet eine gründliche Vorbereitung und Betreuung statt, während Du im Ausland bist, und auch auf die Camps, wenn Du als „returnee“ zurückkommst, freue ich mich jetzt schon! Ich habe so viel geschenkt bekommen, so habe ich jetzt Freunde und Bekannte, die über die ganze Welt verteilt sind, und eigentlich auch eine zweite Heimat mit einer zweiten Familie gewonnen!

DANKE AN AFS, MEINE FAMILIE UND FREUNDE!!! IHR SEID SPITZE!!!!

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