Anna (aus Köln) | 1997/1998 | Thailand / Bangkok / Samut Sakhon

Überleben in Thailand:

Wie könnte ich Menschen, die noch nie in Thailand waren und wahrscheinlich auch nicht sehr viel von dem Land und den Menschen wissen, über mein Austauschjahr in eben diesem berichten? Am besten fange ich damit an, wie man in Thailand überlebt. Das ist nämlich gar nicht so einfach, wenn man nicht weiß, wie die Thailänder das machen. Nun, es gibt da zwei sehr einfache Grundregeln (Es gibt natürlich noch sehr viel mehr, aber die komplexen Regeln des Thailändischen Höflichkeitssystems zu erklären würde doch etwas zu lange dauern. Aber wenn man diese beiden befolgt hat man bei jedem Thailänder einen Stein im Brett.): 1. Immer und zu allem lächeln! Dieser Trick sollte vor allem dann angewendet werden, wenn man nichts versteht. Das hilft immer. 2. Sehr viel essen! Wer nicht ißt ist unglücklich, heißt es in Thailand. Also, immer schön viel essen, damit man auch nur nicht abnimmt. Diese Regel zu befolgen ist gar keine Schwierigkeit, da die Thailändische Küche eine der besten der Welt ist (jeden Falls nach meinem Geschmack).

sabai dii kha - mir geht es sehr gut!

Diese beiden Regeln habe ich also am Anfang immer eingehalten. Immer, wenn mich jemand gefragt hat, wie es mir ginge, lächelte ich und sagte sabai dii kha, mir geht es sehr gut. Dabei merkte natürlich keiner, daß es mir in Wirklichkeit gar nicht gut ging. Und meine Familie, die Ursache dieses nicht wohl Fühlens, schon erst recht nicht. Nun, Thailand gefiel mir jedenfalls sehr gut. Die Menschen haben dort zwei Hauptinteressen: essen und Spaß haben. Ein weiser Mensch hat einmal gesagt, daß Thailänder nur ein Mahl am Tag haben. Dieses beginnt morgens nach dem Aufstehen und endet, wenn sie abends ins Bett gehen. Das entspricht tatsächlich der Wahrheit. "Hast du schon gegessen?" ist ein sehr häufiger Gruß in Thailand. Verneint man dies, folgt eine Einladung, bejaht man, folgt eine eingehende Befragung nach dem Inhalt dieser Mahlzeit und eine fast ausartende Schwärmerei von verschiedenen Speisen. In Europa ist das Lieblingsgesprächsthema das Wetter; in Thailand ist es das Essen. Spaß ist, wie schon erwähnt, auch sehr wichtig. Wenn ein Thailänder von einem geschäftlichen Termin zurück kommt, wird er gefragt sanuk mai, hat es Spaß gemacht? So ist das eben. Wenn man etwas tun muß, was keinen Spaß macht, wird man ernstlich bedauert.

Feste und Feiern

Verbindungen dieser beiden thailändischen Vorlieben sind die Feste. Deshalb gibt es auch so viele davon in diesem Land. Zum Beispiel Loy Kratong, das Lichterfest. Jeder baut ein kleines Inselchen aus Bananenblättern und Blumen und stellt eine Kerze und ein Räucherstäbchen drauf. Am Abend legt man dann eine Münze drauf, zündet Kerze und Stäbchen an und läßt das Ganze in den vorsichtig in den Fluß gleiten. Wenn die Kerze so lange brennt, wie man sie noch sehen kann, geht ein Wunsch in Erfüllung. Neujahr wird dort dreimal gefeiert. Einmal am ersten Januar, wie überall auf der Welt auch. Dann gibt es das chinesische Neujahr Mitte Januar, Anfang Februar. An diesen Tagen gehen die Kinder zu jedem Verwandten, wünschen ihm ein schönes neues Jahr und bekommen dann Geld von ihm. Deshalb heißt es auch oft "Geldfest". Außerdem wird am Haus eine lange Schnur mit Silvesterknallern aufgehangen und abgebrannt. Dies dient dazu, den Hausgeist aufzuwecken. Dieses Fest ist auch Anlaß, der Toten zu gedenken. Und schließlich gibt es noch Mitte April, in der heißesten Jahreszeit, mein Lieblingsfest: Songkran. Das thailändische Neujahr dauert drei Tage und an denen hat man Mühe, trocken zu werden. An jeder Straßenecke stehen Leute, die einen mit Wasser bespritzen. Manche haben Wasserpistolen, andere Schläuche oder große Tonnen, voll mit Wasser. Viele fahren auch auf der Ladefläche von Pick Ups durch die Gegend, auf denen auch solche Tonnen stehen. Man wird jedenfalls sehr naß, was einem allerdings nicht viel ausmacht, da es sehr heiß ist. Dieses Wasserspritzen soll einen starken Monsun herauf beschwören, und somit eine ertragreiche Ernte.

Familienzusammenhalt und -wechsel

Jedenfalls ist jedes dieser Feste mit einer Familienzusammenkunft, einem riesigen Festschmaus und viel Beten verbunden. Die Hauptreligion ist Buddhismus. Obwohl ich es eigentlich lieber eine Art zu leben, als eine Religion nenne. Alles in allem war mein Jahr in Thailand das glücklichste in meinem bisherigen Leben. Und das, obwohl ich zweimal die Familie gewechselt habe. Meine dritte Familie liebe ich sehr und auch die zweite mag ich sehr gerne. Trotzdem ich Familien und Freunde sehr vermisse, bin ich dennoch froh, wieder hier zu sein. Denn ich liebe auch meine Familie und Freunde hier. Außerdem habe ich hier wesentlich mehr Freiheiten. In Thailand war ich ein Kind, hier bin ich erwachsen. Ich werde immer mit einem Lächeln an Thailand zurück denken. Schließlich ist es das Land des Lächelns. Eines weiß ich sicher: Es war nicht das letzte Mal, daß ich in Thailand war. Ich werde immer wieder dorthin zurück kehren. Denn es ist auch mein zu Hause.

Warum Thailand?

Dieser Bericht über meine Zeit in Thailand ist in meinen Augen viel zu unvollständig und nicht im Geringsten zufriedenstellend. Aber es ist mir nicht möglich, alles, was ich gerne sagen möchte, auf kleinem Raum unterzubringen. Für eventuelle Leser wäre es schnell langweilig, würde ich mehr schreiben. Deshalb muß dies hier genügen: Die erste Frage, die Menschen mir stellen, wenn sie erfahren, daß ich ein Jahr lang in Thailand zur Schule gegangen bin ist, weshalb ich mir gerade dieses Land ausgesucht habe. Ich kann diese Frage nicht zufriedenstellend beantworten. Ich hätte in so viele andere Länder gehen können, doch ich habe Thailand gewählt, weil es das Land war, über das ich am Wenigsten wusste. Pure Abenteuerlust, etwas was früher nie zu meinen Eigenschaften gehörte, hatte mich gepackt. Und so landete ich also zu Beginn der Regenzeit im Juli 1997 in Bangkok. Und jetzt im Nachhinein kann ich mit der größten Überzeugung sagen: Mein Jahr in Thailand war das schönste in meinem bisherigen Leben.

Meine erste Familie - Eingewöhnung

Meine erste Gastfamilie lebte in einem Vorort der Provinzhauptstadt von Samut Sakhon, ungefähr 40 Kilometer süd-westlich von Bangkok. Ich kam nicht sonderlich gut mit ihnen zurecht, was sicherlich auch daran lag, daß ich mich noch nicht besonders gut eingelebt hatte. Sie waren 8 Jahre zuvor aus Shanghai nach Thailand gekommen und waren von ihrem Exil nicht überzeugt. Sie waren der Ansicht, daß einem Mädchen in meinem Alter in Thailand zu viele Gefahren drohten, als daß es vor die Tür gehen könnte. Ich war also eingeschlossen. Konnte nur zur Schule gehen und sonst nichts tun. Zu Hause sprach die Familie Chinesisch, was mir natürlich noch weniger geläufig war, als Thai. Nach einem Monat entschloss ich mich, die Familie zu wechseln. Und jetzt begann erst meine eigentliche Thailand-Erfahrung.

Meine zweite Familie und der Schulalltag

Die nächste Gastfamilie lebte auch in einem Vorort und die Wohnbedingungen waren mehr schlecht als recht. Wir lebten mit 8 Personen in drei Zimmern. Besonders die sanitären Anlagen waren fast unzumutbar. Aber ich habe gelernt, daß man sich an all dies gewöhnen kann. Man gewöhnt sich daran und ist sogar glücklich dort, wenn nur die Menschen im Umfeld freundlich und liebevoll sind. Und das war meine Familie. Jeden Morgen wurden meine Gastschwester Pluem und ich von unserem Vater oder Bruder in die Schule gefahren. In Thailand trägt man Schuluniform und ich kann mir keine Kleidung vorstellen, die unvorteilhafter aussähe. Wir gingen auf eine Mädchenschule und alle 3000 Schülerinnen trugen die gleiche schreckliche blau-weiße Kleidung. Das Schulgelände war vollständig eingezäunt und man musste den Lehrer, der am Tor Wache stand auf die traditionelle thailändische Art begrüßen, mit einem wai. Man stellt die Schultasche (ein wunderschönes Utensil, zur Uniform gehörig) ab und legt die Hände vor dem Kinn zusammen. Dabei knickst man. Um 8 Uhr versammelten sich alle Schülerinnen auf dem Sportplatz und dann wurde zu den Klängen der Nationalhymne die Fahne hochgezogen. Anschließend wurde gebetet. Natürlich ein buddhistisches Gebet. Als ich einmal eine Mitschülerin fragte, was das Gebet bedeutet, sagte sie sinngemäß, sie wisse es nicht, es sei schließlich auf Sanskrit. Aber die Menschen dort sind fast ausschließlich überzeugte Buddhisten und die Religion - eigentlich ist es mehr eine Lebensphilosophie - bestimmt fast jede Handlung. Ich ging in die gleiche Klasse wie meine Gastschwester, hatte jedoch einen eigenen Stundenplan. Die einzigen "akademischen" Fächer, die ich belegte, waren Englisch (bei einer Amerikanerin), Französisch und Thai als Einzel-Unterricht. Ansonsten war der Plan dominiert von handwerklichen Fächern, wie das Anfertigen von Blumenarrangements oder thailändisch kochen. Und natürlich Sport: Badminton, Thai Tanz und Thai Schwertkampf. Mittags hatten wir eine Pause, in der ich mich mit meiner Schwester und ihren Freunden zum Essen getroffen habe. Die thailändische Küche ist phantastisch und dementsprechend viel wird auch gegessen. Eine beliebte Begrüßung sind die Worte "Hast du schon gegessen?". Falls das nicht der Fall ist wird man augenblicklich eingeladen. Mir ist es unverständlich, wie es den Thailändern möglich ist, so dünn zu bleiben. Sie essen den ganzen Tag lang und nehmen kaum zu!

Die Schule war um vier Uhr zu Ende und dann gingen meine Schwester und ich meistens noch in der Stadt etwas essen, bevor wir den Bus nach Hause nahmen und gegen 6 Uhr Abendessen bekamen. Wenn ich nicht gegessen habe, dachte meine Familie, ich sei krank oder unglücklich. Ich blieb vier Monate in dieser Familie und es war eine schöne Zeit, auch wenn ich manchmal unglücklich war. Die Familie unternahm viele Ausflüge mit mir und ich sah endlich auch mehr von diesem wunderschönen Land. Der Grund für meinen zweiten Wechsel waren Probleme, die die Familienmitglieder untereinander hatten und bei denen ich nicht im Weg stehen wollte. In Thailand ist es ein Gesichtsverlust, wenn Außenstehende so etwas mitbekommen. Der Abschied war traurig aber ich denke es war die richtige Entscheidung. Mein Verhältnis zu der Familie war hinterher fast besser als zu der Zeit, da ich ein Teil von ihr war. Und auch heute habe ich noch guten Kontakt zu allen.

Meine dritte Familie und das Ausgehen

Meine dritte Familie war perfekt. Ich war vollständig integriert. Es war toll. Meine Eltern waren meine besten Freunde. Das klingt vielleicht seltsam, aber es war völlig normal. Ich war unheimlich glücklich bei ihnen. Ich hatte zwei jüngere Geschwister und war aber trotzdem weiterhin mit meiner vorherigen Schwester befreundet, was wichtig für mich war. Häufig werde ich gefragt, wie es in Thailand mit den Möglichkeiten aussieht, abends wegzugehen. Die Möglichkeiten sind da. Aber nicht für ein 17jähriges Mädchen. Es ist nicht üblich, nach 8 Uhr auf die Strasse zu gehen. Und erst recht nicht allein. Allein ist man selten in Thailand. Wenn man eine große Strasse überqueren möchte, kommen sogleich ein oder zwei Thailänder und nehmen einen bei der Hand. Das ist hauptsächlich Selbstschutz und weniger die Überzeugung, daß man alleine nicht fähig ist, die Strasse zu überqueren. Natürlich sind es nur Menschen des gleichen Geschlechts, die sich berühren. Ein Junge darf ein fremdes Mädchen nicht berühren, oder umgekehrt. Sie wäre sonst sofort rät, eine Schlampe. Allerdings sieht man häufig Mädchen Hand in Hand oder Jungen Arm in Arm. Das sind keine Homosexuellen (obwohl auch Homosexualität gesellschaftlich voll akzeptiert ist), sondern einfach Freunde.

Ein Teil von mir ist in Thailand geblieben

Thailand hat sehr komplizierte Höflichkeitsregeln, die zu befolgen sehr wichtig ist. Aber am wichtigsten ist es, niemanden bloßzustellen. Niemand darf "sein Gesicht verlieren". Die Monarchie ist eine feste Einrichtung und die Thailänder sehen König und Königin als Vater und Mutter an. Für Europäer kaum verständlich ist die Tatsache, daß die Menschen in Thailand diese Staatsform wollen. Das Königspaar ist hoch verehrt. Thailänder sind immer freundlich. Man wird überall mit echter Freude begrüßt. Lächeln gehört immer dazu. Zu Beginn meines Aufenthaltes habe ich nicht immer gelächelt. Die Hitze hat mir zu schaffen gemacht, ich hatte Heimweh und nicht viele Freunde. Sofort kamen wildfremde Schüler auf mich zu und fragten, ob ich krank oder traurig sei. Also habe ich mir bald angewöhnt, immer mit einem Lächeln durch die Schule zu laufen, was manchmal sehr schwer sein kann. Das ist natürlich heuchlerisch, aber das ist die Schattenseite der Freundlichkeit im Land des Lächelns. Ich habe mich hier in Deutschland wieder gut eingelebt. Aber ich lebe ständig mit dem Bewusstsein, das ein Teil von mir auf der anderen Seite der Welt auf mich wartet. Ein Teil von mir ist in Thailand geblieben und wird auch immer dort sein.

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